Der Mond, wie schön er doch glitzert. Die bleiche, kalte, helle Scheibe am Nachthimmel. Sie hat mir mein Leben geschenkt, wie könnte ich ihr da böse sein?
Doch trotzdem verfluche ich ihn. Er bietet zwei Seiten einer Medaille, mein Leben und mein Fluch. Wie ich den Mond hasste, doch liebte.
Wie kann etwas derart schönes so grausam sein wie der Mond?
Meine Gefährten dachten wie ich. Diese Hassliebe zum Mond verband uns und sie trennte uns. Einige konnten nicht lieben oder nicht hassen, nur eines von beiden.
Die helle Scheibe löste in uns Gefühle aus, die wir verachteten und doch genossen. Wie könnten wir auch anders handeln oder denken? So vollkommen abhängig vom Licht dieses Himmelskörpers.
Der Mond, unser Anfang und unserer Untergang.

Kapitel 1: Ein dunkles Geheimnis

Genervt sah ich meine Freundin an. Als ob der Tag nicht schon schlimm genug wäre, musste sie die ganze Zeit über ihren Schwarm reden, der sie eh nicht beachtete. An Tagen wie diesem verstärkten sich für mich der ekelhafte Geruch des schlechten Essens hier und auch die ungewaschenen, verschwitzten Körper von pubertierenden Jugendlichen. Besser, ich fing dasselbe Spiel wie jeden Monat an und begann zu husten.
Da offiziell bekannt war, dass ich Asthma und chronische Bronchitis hatte, schaute mich Lizzie sofort besorgt an und fragte mich, ob es mir auch gut gehen würde.
Mit einem leidenden Ausdruck in den Augen erklärte ich ihr, es würde schon gehen. Beruhigt fing sie wieder mit ihrem Schwarm Michael an, der nur vier Tische weiter saß. Meine Gedanken schweiften ab, voller Vorfreude und Abscheu. Warum bisher noch niemanden das Muster aufgefallen war, wunderte mich schon ewig. Immer wurde ich eine Woche im Monat krank, zwei Tage vor Vollmond, der Vollmondtag und die zwei Tage danach.
Die Frage, warum gerade ich, hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben. Es gab keine Antwort darauf, also versuchte ich einfach das Beste aus dem zu machen, was mir gegeben wurde.
Ein neuer Geruch wehte durch die offene Cafeteria Tür zu mir und sofort hob ich meinen Kopf und sah mich aufmerksam um. Auf meine Nase war normalerweise Verlass, doch dieses Mal konnte ich nicht orten, wer aus der Gruppe der Jungs, die alle einige Klassen über mir waren, diesen Geruch verströmte. Ich kannte keinen von ihnen, doch der Geruch verwirrte mich. Eine Mischung aus Gefahr, Verwegenheit und... Wolf!
Panisch stand ich auf und rannte aus der Cafeteria in das sichere Mädchenklo. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, voller Angst, dass er mir bis hierher folgen würde. An der Tür klopfte jemand und ich schrie auf.
„Hey, Mia, ist alles klar bei dir?
Ein Glück, es war nur Lizzie. Angestrengt versuchte ich zu überlegen und gleichzeitig zur Ruhe zu kommen. Schließlich kam mir die rettende Idee und ich steckte mir einen Finger in den Hals und übergab mich. Meine Ohren nahmen Lizzies Eckel war und auch die angewiderten Laute der anderen Mädchen, die sich zurzeit hier aufhielten.
Der Würgereiz hörte so schnell auf, wie ich ihn ausgelöst hatte und mit schwacher Stimme antwortete ich ihr: „Lizzie, ich glaube, mir geht es doch nicht so gut.“
Ich öffnete die Tür und nahm das feuchte Taschentuch entgegen und versuchte ihren angeekelten Blick zu ignorieren. Meine Gedanken wollten zu dem rasen, was ich gerade gerochen hatte, doch ich zwang mich zur Ruhe. Das hatte Zeit, bis ich zu Hause war.
„Du bist ganz bleich, geh lieber nach Hause und kurier dich aus, Mia. Ich werde Mister Brown alles erklären.“
Dankbar nickte ich meiner Freundin zu und warf das Taschentuch in den Mülleimer.
Sie begleitete mich mit einer nervenden, wachsamen Aufmerksamkeit zum Spind, wo ich meine Tasche gelagert hatte.
Die meisten der Bücher steckten noch drin, also brauchte ich mir nur das grüne Ungetüm auf meine Schultern zu werfen. Ich wusste, dass Lizzie mir hinterher sah, aber es viel mir viel schwerer als sonst, mich zu beherrschen und nicht wegzurennen.
Die schwere Holztür des Schulgebäudes fiel hinter mir ins Schloss, doch noch musste ich mich zu diesem langsamen, menschlichen Schritttempo zwingen. Erst als ich den Wald erreichte und niemanden in meiner Nähe wahrnehmen konnte, rannte ich los, mit einem ganz und gar nicht menschlichem Tempo über das ich ausnahmsweise sehr froh war.
Ein Geheimnis zu haben ist nicht so lustig, wie man denken könnte. Es ist sehr schwierig sich nicht in bestimmten Situationen zu verraten und sich nicht zu offenbaren. Doch bisher war es mir immer gelungen.
Vor mir, beschützt von hohen, dunklen Eichenbäumen, kam endlich mein zu Hause in Sicht.
Ich legte noch mal an Tempo zu und sprang auf die Terrasse im ersten Stock, fummelte etliche Sekunden in meiner Hosentasche herum bis ich den Schlüssel gefunden hatte und raste in mein Zimmer auf mein Bett zu.
Die Decke komplett über meinen schwitzenden Körper ausgebreitet, versuchte ich den Drang und gleichzeitig die Panik zu bezwingen. Das war der Grund, warum ich meine Fähigkeiten nur für eine Woche im Monat nutzen konnte und wollte. In der übrigen Zeit war es zu gefährlich, sich zu verwandeln, wollte man ein nahezu menschliches Leben führen. Das war das Leben eines Wolfes, eines Werwolfes.