Hallo! Also, ich hatte ja die Umfrage gestartet und da kam als Ergebnis raus, dass ihr gerne die gesamten Kapitel lesen möchtet. Deshalb eröffne ich Nachtwandel noch einmal neu, damit ihr nicht mit den bisherigen Ausschnitten verwirrt werdet. Aber das heißt nicht, dass ich euch für die bisherigen Tips und Vorschläge net dankbar bin, die wurden immer schön eingearbeitet. Joa, das wollt ich nur sagen. Dann wünsche ich euch weiterhin viel Spaß bei Nachtwandel und hoffe auf fleißige Kommentare. Liebe grüße Sunny
Kapitel 1: Ein ganz normaler Tag (2860 Wörter)
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Kapitel 1: Ein ganz normaler Tag
Wie jeden Morgen stand ich vor meinem Spiegel und betrachtete mich. Ich gehörte wohl zu den wenigen Menschen, die mit ihrem Aussehen wirklich zufrieden sind. Meine Nase war gerade, meine braunen Augen blickten mir intelligent entgegen, meine Lippen sind voll und rot. Klar, auch ich hatte meine Problemzonen. Meine Oberschenkel fand ich zu dick, meine Brüste zu klein und mein Bauch fing an zu wachsen. Aber im Großen und Ganzen bin ich echt zufrieden mit meinem Körper. Meine Hand bewegte sich in Richtung Bürste, als meine Mutter von unten nach mir rief. Schnell kämmte ich mein rötlich schimmerndes Haar durch und zog mich hastig an. Eine mit grünen Jadesteinen besetzte Kette in Form eines zierlichen Schmetterlings ließ ich unter mein T-Shirt gleiten. Mein Körper schauerte zusammen, als das kalte Metall meine nackte Haut berührte. Ein letzter Blick in den Spiegel versicherte mir, wie gut ich an diesem Tag aussah. Ich griff meinen Rucksack, trat in den Flur, ließ die Tür hinter mir mit einem Krachen ins Schloss fallen und rannte die Treppe hinab. In der Küche blickten mir meine Mutter und mein bester Freund Damon wie jeden Morgen entgegen. Mein Vater war anscheinend schon auf Arbeit, auch wie jeden Morgen. Damon grinste sein spitzbübisches Lächeln, während er sich einen Löffel Müsli in den Mund schob. „Hey, Syria, du siehst heute besonders klasse aus. Los, setzt dich und iss was, damit wir endlich los können.“ Derselbe Spruch wie jeden Morgen. Das war typisch Damon, dachte ich mir. So lange ich denken konnte, kannten wir uns schon und schon immer war er mein bester Freund. Impulsiv, spontan, unruhig und mit einem Aussehen, dass die meisten anderen Jungs in den Schatten stellte. Mit seinen 1,90 überragte er alle, seine kurzen schwarzen Haare glänzten im Sonnenschein geheimnisvoll und diese leuchtend grünen Augen hatten schon so manches Herz gebrochen. Ja, ich gab es gern zu, ich war in ihn verliebt. Aber ich mein, hallo, wer wäre das nicht? Für mich war es pures Glück, dass er nebenan wohnte und fast jede freie Minute mit mir verbrachte. In der Schule wird viel über uns getuschelt, dass wir zusammen wären und so, aber Damon lachte darüber nur und vertrat die Meinung, Hauptsache wir kannten die Wahrheit. Es war wirklich nicht einfach, ihm nie meine Liebe zu gestehen, aber ich war so schüchtern, dass mir diese Eigenschaft ausnahmsweise zu Gute kam. Ein Seufzer stahl sich über meine Lippen nach außen. Sofort sahen mich meine Mutter und Damon besorgt an. „Syria, hast du was? Geht´s dir nicht gut?“, fragte mich Damon. Ja, manchmal ging mir seine übertriebene Fürsorglichkeit einfach nur auf die Nerven. Automatisch verzogen sich meine Mundwinkel zu einem Lächeln und antwortete beruhigend: „Mir geht es gut, macht euch keine Sorgen um mich. Ich hab nur an die Geburtstagsfeier gedacht. Ihr wisst doch das ich deswegen total aufgeregt bin.“ Meine Mutter wandte sich wieder ihrer Zeitung zu, Damon nickte und sah erleichtert aus. Sein Blick fiel auf unsere kleine Küchenuhr und sofort war er auf den Beinen und zerrte mich im selben Augenblick in die Höhe. „Oh mein Gott!“, rief er aus. „Wir müssen uns jetzt echt ranhalten Syria, sonst bekommen wir wieder Ärger. Vielen Dank für das Frühstück.“, fügte er an meine Mutter gewandt hinzu. „Ich verspreche, ich werde gut auf Syria aufpassen.“ Er verbeugte sich vor ihr, während ich noch mit dem letzten Bissen kämpfte, den ich verschluckt hatte. Diese absolut peinliche Situation verschlimmerte alles nur. Meine Mutter nahm den Spruch jedes Mal gelassen entgegen und antwortete: „Das möchte ich auch hoffen, Damon“ Ich ergriff seine Hand und zog ihn mit mir nach draußen. Auf dem Weg zur Tür rief ich meiner Mutter noch einen Abschiedsgruß zu. Damon grinste mich nur an, überholte mich mit seinen langen Schritten und zog nun seinerseits an meiner Hand. Draußen musste ich kurz meine freie Hand über meine Augen legen, so hell schien die Sonne. „Syria, los jetzt, wir haben keine Zeit zum Rumtrödeln mehr." Wir schnappten uns unsere Fahrräder und fuhren los. Das Wetter war angenehm warm, aber nicht zu heiß. Nach einer Weile erreichten wir eine Birkenallee. Der Wind brachte die kleinen Blätter zum Säuseln und ließ sie alle ineinander übergehen, so dass sie ein einziges, riesiges grünes Dach bildeten. Meine Haare wurden nach hinten geweht. Langsam breitete ich meine Arme aus und stellte mir vor, sie wären Flügel. Mit einem kräftigen Flügelschlag würde ich in die höheren Luftschichten getragen werden und dort auf andere Vögel treffen. Mit denen könnte ich mich unterhalten und fliegen und spielen. Meine Federn würden vom Wind zerzaust. Ein starker Schmerz auf meiner Brust holte mich zurück in die Wirklichkeit. Keuchend hielt ich mein Rad an und bemerkte, dass die Kette unter dem Shirt hervorgerutscht war. Konnte sich Metall so stark erhitzen, dass ich es durch Stoff hindurch spüren konnte? Von der nächsten Kreuzung hörte ich Damons Stimme nach mir rufen und fuhr zu ihm. „Warum hast du gerade angehalten?“, fragte er und sah mich erneut mit diesem besorgten Blick an. Das war wieder so ein Moment, wo er mir tierisch auf die Nerven ging. Andererseits sah er so süß, dass ich ihm auf der Stelle verzieh. „Ach, ich musste nur schnell was nachgucken. Mir war so, als ob ich meine Hausaufgaben für die erste Stunde zu Hause habe liegen lassen, aber sie sind doch in meiner Tasche.“ Ich wunderte mich über mich selbst. Außer der Tatsache, dass ich ihn Damon verliebt war, verheimlichte ich ihm nichts, warum erzählte ich also jetzt also eine Lüge und nicht die Wahrheit? „Jetzt aber los, du Träumerle, ich will nicht schon wieder wegen dir Ärger bekommen.“ Wir traten kräftig in die Pedalen und schafften es gerade rechtzeitig. Mit dem letzten Klingelzeichen stürmten wir auf unsere Plätze und ignorierten den missbilligenden Blick von unserem Englischlehrer. Die anderen Schüler starrten uns an, ganz genau wie jeden Morgen. Ich machte mich auf meinem Platz so klein wie möglich und versuchte, nicht aufzufallen und meinen Gedanken nachzuhängen. Damon sah immer wieder zu mir hinüber, aber ich gab ihm zu verstehen, dass er sich auf den Unterricht konzentrieren und mich in Ruhe lassen soll. Es war gar nicht so einfach, so wie er mich immer wieder angrinste. Aber schließlich drehte er sich nach vorn und folgte meinen Wunsch. Englisch war die einzige Stunde, die wir in der Schule nicht nebeneinander saßen. Als Ausgleich hatten wir eine Zeichensprache entwickelt und konnten uns trotzdem unterhalten. Endlich konnte ich nachdenken, ohne mich an Damon zu verraten. Gedankenverloren schweifte mein Blick aus dem Fenster, auf die große Eiche im Hof. Ich wollte über den Vorfall heute früh nachdenken, aber immer wieder drehten sich meine Gedanken zu Damon hin, zu unserer ersten Begegnung. Die erste bewusste Erinnerung, die ich mit ihm in Verbindung brachte. Besonders deutlich war mir bis heute der Regen im Gedächtnis geblieben. Ich war erst drei oder vier Jahre alt, meine Eltern hatten an dem Tag keine Zeit für mich gehabt und mir gesagt, ich solle spielen gehen. Also tat ich es und ging zum Fluss. Allein spielte ich dort so lange, bis der Regen einsetzte und ich mich auf den Weg nach Hause machen wollte. Das Gras der Böschung war schon durchgeweicht und die Erde hatte sich in rutschigen Schlamm verwandelt, auf dem ich nicht mehr nach oben kam, sondern geradewegs in Richtung den Fluss rutschte und hinein fiel. Das eiskalte Wasser schlug über mir zusammen und mein Herz setzte für einen Moment aus. Die Lungen mit Wasser gefüllt, geriet ich derart in Panik, dass ich nicht mehr wusste, wo oben oder unten war. Meine Kleidung zog mich bis auf den Grund und die Strömung trug mich mit sich fort. Ich wollte schreien, doch verbrauchte dadurch nur noch mehr der immer knapper werdenden Luft. Auf einmal packte mich etwas von hinten und der Ohnmacht nahe, wurde ich an das rettende Ufer gezogen. Auf dem nassen, aber dafür sicherem Boden angekommen, hustete ich eine ganze Weile sehr viel Wasser und holte so tief Luft, wie es möglich war. Keuchend blickte ich mich nach meinem Retter um und sah einen Jungen ein paar Meter weiter liegen. Ich krabbelte auf allen vieren zu ihm hin und erkannte Damon, den Nachbarsjungen, der mich immer geärgert hatte. Warum war er hier? Warum hatte er mich gerettet? Solche Fragen schossen mir durch den Kopf und waren sofort wieder vergessen. Sein Grinsen ließen mich die eben erst erlebten Schrecken vergessen. „Für ein Bad ist es noch ein wenig zu kalt, meinst du nicht auch? Ich bring dich lieber nach Hause, damit wir einen warmen Kakao bekommen und danach spielen wir beide gemeinsam.“ In diesem Moment begann bei mir der Schock einzusetzen und schluchzend und heulend fiel ich Damon um den Hals. Ich weinte sehr lange. Er hielt mich einfach nur fest und murmelte einige Zeilen eines Liedes vor sich hin, streichelte dabei meinen Rücken und Kopf. Erst als er seine nasse Jacke um meinen zitternden Körper legte, hörte ich auf und wollte mit ihm aufstehen. Als ich aber mein Gewicht auf den linken Fuß verlagerte, zuckte ich vor Schmerz zusammen und sank erneut zu Boden. Mit verweinten Augen und neuen Tränen sah ich zu ihm hoch und schluchzte: „Mein Fuß tut so weh, ich kann nicht mehr laufen und komme bestimmt auch nie wieder nach Hause und spielen können wir dann auch nicht.“ „ Das bekommen wir hin, kleine Maus. Klettere auf meinen Rücken, dann trage ich dich“, bot er mir an und hockte sich vor mich hin. Ich nickte langsam und schlang meine Arme um seinen Hals. Er griff unter meine Beine und hob mich mühelos hoch. Darüber wunderte ich mich heute noch, denn er war nur ein Jahr älter als ich. Auf dem Weg roch ich seinen Geruch, nasse Erde und Regen. Die Wärme, die von seinem Körper ausging, brachte uns beide zum Dampfen und unter seiner Jacke war mir warm. Ich schlief auf dem Weg ein, doch vergaß ich nie das letzte Geräusch was ich hörte, seinen Atem und die prasselnden Regentropfen. Das Läuten der Schulglocke riss mich aus meinen Erinnerungen. Ein leichtes Lächeln umspielte noch immer meine Lippen, als mir bewusst wurde, dass ich vom Unterricht nicht ein einziges Wort mitbekommen hatte. „Syria, würden Sie bitte zu mir nach vorn kommen?“, zitierte mich Mr. Warner nach vorn, während die anderen Schüler lärmend und lachend ihre Sachen zusammen packten. Damon bedachte mich mit einem besorgten Blick, bevor er das Klassenzimmer verließ. Mist, jetzt gab es bestimmt mal wieder Ärger, weil ich die Stunde nicht aufgepasst hatte, dachte ich. „Syria“, begann er. Seine weißen Haare waren nur noch Rudimente einer wallenden Haarmähne, die er früher mal besessen haben musste. „Sie sind doch ein cleveres Mädchen, oder nicht? Und für sie beginnt morgen ein ganz neuer Lebensabschnitt. Sie werden morgen erwachsen, da können Sie es sich nicht mehr leisten, einfach so in den Tag hineinzuträumen. Sie müssen ihre Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Dinge lenken, auf das, was wichtig ist, wie die Schule. Werden sie erwachsen und konzentrieren sie sich in Zukunft mehr. Ich hoffe sie werden sich den Tadel zu Herzen nehmen.“ Ich verkniff jegliche Entgegnung und versuchte schuldbewusst zu schauen. Anscheinend konnte ich besser schauspielern als gedacht oder Mr. Warner hatte keine Lust, sich länger mit mir zu beschäftigen, auf jeden Fall wandte er sich wieder irgendwelchen Schülerarbeiten zu und markierte sehr viel Rotes. Für mich schien dieses Gespräch zu Ende, also verließ ich den Raum. Damon wartete auf mich vor der Tür und sah mich fragend an. „ Was war denn los?“ „Nur eine kleine Standpauke, weil ich nicht aufgepasst habe, nichts Besonderes.“ „ Du bist heute ein größeres Träumerle als sonst“, lachte er laut. Ich lachte mit ihm und nahm seine Hand, einfach so, obwohl mein Herz dabei schneller schlug. Bis mir einfiel, welches die nächste Stunde war, grinste ich mit ihm um die Wette und zog ihn hinter mir her. Erst vor der Sporthalle wurde ich langsamer und jetzt musste er mich mit sich schleifen. Ich stöhnte ergeben. Sport war eines der Fächer, die ich richtig hasste und die Damon abgöttisch liebte. Er war in allen Sportarten gut, konnte sich geschmeidig bewegen und lernte sehr schnell. Egal was ich machte, ich stolperte über meine Füße, verstand die Regeln nicht oder konnte keinen Ball fangen. Damon begleitete mich bis zur Mädchenumkleide, was mir die Röte ins Gesicht schießen ließ. „Damon, du musst zu deiner eigenen Umkleide. Du weißt doch wie peinlich es mir ist, wenn du mich bis hierher begleitest und ich das Gespräch der Mädchen bin.“ Damon antwortete mir nicht, sondern setzte sein spitzbübisches Grinsen auf und für einen kurzen Moment hatte ich die Hoffnung, dass er mich küssen würde. Doch er drehte sich um und verschwand zwei Türen weiter in der Umkleide für die Jungs. Ich seufzte. Ihm kann man wirklich nicht böse werden. Mein Blick fiel in die leere Umkleidekabine. Anscheinend war ich wirklich die letzte, also beeilte ich mich und zog mir schnell die Sportsachen an. Anschließend betrat ich die Halle. Vor mir waren viele Matten und Geräte aufgebaut. Stufenbarren und Schwebebalken für die Mädchen, für die Jungs Böcke und Pferde. Ich versuchte mich einzuschleichen, aber wie erwartet, wurde ich erwischt. „Schön, dass sie uns auch noch mit ihrer Anwesenheit beehren, Syria.“, rief mich meine Sportlehrerin vom anderen Ende der Halle. Mit hängenden Schultern trabte ich zu ihr und holte mir die nächste Standpauke ab. Neben ihr stand auch noch der Sportlehrer der Jungs, also würde es eine doppelte werden. „Bitte entschuldigen sie meine Verspätung. Mr. Warner hat mich noch einige Minuten aufgehalten, weil er einen Aufsatz mit mir durchsprechen wollte. Dadurch habe ich es leider nicht rechtzeitig hierher geschafft.“ „Es ist echt schon ein Wunder, dass sie und Damon die ganze Zeit zusammen glucken, er es jedoch im Gegensatz zu Ihnen immer pünktlich zu den Stunden schafft“, erwiderte der Sportlehrer der Jungs anstelle meiner Lehrerin. Zufällig lief Damon im selben Augenblick an uns vorbei und hielt auf der Stelle rennend an, um mich zu verteidigen. „So ist sie nun einmal. Verträumt, schusselig, aber nicht unpünktlich. Ich habe selbst noch gehört, wie sie mit Mr. Warner gesprochen hat.“ Der Sportlehrer wandte sich mit einem genervten Gesichtsausdruck ab, Damon grinste mich an und lief weiter. Ich blickte ihm dankbar hinterher, aber meine Lehrerin machte mir einen Strich durch die Rechnung. „Kommen sie, Syria, sie müssen noch für ihre Leistungskontrollen üben. Fangen sie doch am Schwebebalken an.“ Es gab keine Chance zu entkommen, da sie neben mir her ging. „Laura, kommen sie bitte mal her und leisten Hilfestellung bei Syria, danach sehe ich sie beide am Barren.“ Schüchtern blickte ich zu Laura, dann begann ich meine Übung zu turnen und versuchte mich zu konzentrieren. Zuerst mit beiden Armen aufstützen, dann ein Bein auf die andere Seite schwingen und sich auf dem Balken zu einer Kniewaage niederlassen. So weit so gut, dachte ich. Es war sehr wacklig hier oben, aber noch bestand keine Gefahr runterzufallen. Jetzt ging der schwierige Teil los. Als erstes das hintere Bein nach vorn holen und aufstellen, danach das Gewicht nach vorn verlagern und die Arme ausbreiten um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Am Boden streckte mir Laura lustlos ihre Hand entgegen, auf sie konnte ich mich nicht verlassen. Sehnsüchtig dachte ich an Damon, an seine Hilfestellung, wie er mich aufgemuntert hätte. Das half mir, schnell den Rest zu beenden. Fünf normale, graziöse Schritte laufen, auch wenn es bei mir eher wie ein Watschelgang aussah, dann drei Schöpfschritte, anschließend drehen und den Rest rückwärts laufen. Erneut drehen und runterspringen. Zwar kam ich blöd mit dem linken Fuß auf und fiel hin, aber ich hatte es geschafft, nicht vorher runter zu fallen. Laura war schon mitten in meinem Sprung zum Barren vorgelaufen, also folgte ich ihr schnell. Die Lehrerin vollführte gerade nochmal die exakten Durchgänge der Übungen und ich versuchte aufmerksam zuzugucken und mir alles einzuprägen. Danach teilte sie uns in Zweiergruppen ein. Ich wurde Ausgerechnet mit der lustlosen Laura in eine Gruppe gesteckt und natürlich mussten wir auch noch anfangen. Da Laura keine Anstalten machte loszulegen, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und stellte mich an die untere Stange. Da sie immer noch keine Anstalten machte sich irgendwie zu bewegen, musste ich wohl ohne ihre Hilfe turnen. Schnell versicherte ich mich, dass unsere Lehrerin anderweitig beschäftigt war, bevor es Ärger geben konnte und begann. Mit dem linken Bein holte ich Schwung, was mir immer noch etwas wehtat nach meinem Ausrutscher am Balken. Eine Rolle brachte mich auf die Stange rauf. Ungläubig dachte ich die zahlreichen Fehlversuche der letzten Stunden und ließ mich von diesem Höhenflug mit reißen. Ich umfasste die Stange und rollte rückwärts. Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. Aber jetzt war ich zu sehr abgelenkt. Meine Hand verfehlte die obere Stange, an welche ich mich zum Abgang hätte hängen müssen. Meine Beine rutschten ab und der Boden kam sehr schnell näher. Erschrocken schrie ich auf und stöhnte, als mich eine Stange am Hinterkopf traf. Mein Blick wurde sofort schwarz, aber die Geräusche nahm ich überdeutlich wahr. Ich hötre eine Person schreien und die Lehrerin brüllte irgendjemanden an. Das Letzte, was ich wahrnahm, war Damons beruhigende Stimme, die mir alles Mögliche ins Ohr flüsterte. Dann versank ich endgültig in der Dunkelheit.
Kapitel 2: Die Offenbarung (3433 Wörter)
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Kapitel 2: Die Offenbarung
Stimmen drangen, immer lauter werdend, an mein Ohr. Ich blinzelte und öffnete vorsichtig die Augen. Mein Kopf dröhnte und für einen kurzen Moment drehte sich die Welt. Einen Arm hob ich vor meine Augen, um mich vor dem Licht zu schützen und berührte den Stoff eines Verbandes. Verwundert blickte ich mich um. Mein Zimmer sah aus wie immer, aber wie war ich hier her gelangt? Das letzte, an das ich mich erinnern konnte, war der Sportunterricht. Mit einem Mal brach die gesamte Flut der Erinnerungen über mich herein, Lauras teilnahmsloses Gesicht, der Schmerz und Damons flüsternde Worte, die mich getröstet hatten. Die Stimmen wurden leiser. Ich drehte meinen Kopf in Richtung der Geräuschquelle und sah meine Eltern am Fenster stehen. Sie diskutierten und mein Vater machte übergroße Gesten mit den Händen. Mir fielen sehr viele Filme ein, die ähnliche Situationen beinhalteten und ich wollte schon immer mal folgende Sätze sagen: „Wo bin ich hier? Und wie spät ist es?“ Meine Eltern drehten sich zu mir und kamen an mein Bett. Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich die Diskussion mitbekommen hatte, auch wenn ich eh nichts verstanden hatte. Meine Mutter antwortete auf meine Fragen: „Du bist zu Hause, Syria und es ist sechs Uhr in der Früh. Du hast den restlichen Tag und die ganze Nacht verschlafen.“ „Was ist denn genau passiert? Ich erinnere mich nur noch, dass ich mir den Kopf angeschlagen habe.“ Diesmal antworte mein Vater: „Mehr ist auch nicht passiert, du hast Glück gehabt. Alles Gute zum Geburtstag meine Kleine.“ Mein Vater umarmte mich und auch meine Mutter lehnte sich zu einer Umarmung hinüber, als mit einem lauten, krachenden Schlag die Tür aufflog. Mein Körper zuckte zusammen und begann zu kochen. Zusätzlich zu meinen Kopf tat mir jetzt alles andere weh, meine Haare standen mir zu Berge. Der Schmerz glich dem von der Fahrradfahrt gestern, nur war er um etliches stärker. So schnell wie es angefangen hatte, hörte es auch wieder auf. Keuchend versuchte ich zu Atmen zu kommen und öffnete langsam meine geschlossenen Augen. Damon stand wie angewurzelt in der Tür und starrte auf mich. Ich wandte mich zu meinen Eltern und auch sie guckten mich ziemlich irritiert an. „Damon, was hast du angestellt?“ Mein Vater sah sehr verärgert aus und auch meine Mutter sah böse zu Damon hinüber. Mein Mund öffnete sich, um Worte zu formen, die meine Eltern beruhigen sollten. „Papa, Damon hat es bestimmt nicht böse gemeint, als er hier so reingestürmt ist. Glaube mir, ich habe mich nur erschrocken, nichts weiter.“ Zumindest wollte ich das sagen. Aber mein Vater sah mich nur verständnislos an, so, als ob er mich nicht verstanden hätte. Meine Mutter sprach: „Syria, meine kleine Große, ganz ruhig bleiben. Für dich ist das sicher alles sehr verwirrend, aber glaube mir, alles wird wieder gut.“ Ich verstand nichts von dem, was sie mir sagen wollte. Was sollte mich verwirren? Was würde gut werden? Meine Welt war völlig normal oder doch nicht? Langsam begann ich, die Veränderungen um mich herum wahrzunehmen. Meine Sicht hatte sich deutlich verschlechtert, dafür hörte ich besser. Aber das schrieb ich der Gehirnerschütterung zu, die ich mir zweifelsohne zugezogen hatte. Meine Kopfschmerzen wurden schlimmer und ich hob meine Hand, um abermals den Verband zu testen. Doch statt der Haut sah ich Fell, statt Fingern eine Pfote. Nervös hob die andere Hand, doch auch sie war zur Pfote geworden, mit Krallen anstelle der Fingernägel. Ungläubig bewegte ich sie weiter, doch statt meiner kleinen Ohrmuschel befühlte ich lange, seidige und sehr empfindliche Ohren. Was um alles in der Welt war hier los? Mein Kopf drehte sich nach unten und ich sah die langen, dicken Hinterschenkel, ebenfalls mit Fell und großen Pfoten. Vorsichtig kroch ich vorwärts, nicht an den Gebrauch der vier Pfoten gewohnt. Ich stolperte mehr als einmal und fiel schließlich vom Bett zum Erdboden hinunter. Langsam bekam ich den Dreh raus, wie ich die langen Hinterpfoten einsetzen musste und mich mit den kleinen Vorderpfoten abstützen konnte. Jetzt wurden mir auch die Tasthaare in meinem Gesicht bewusst. Sie warnten mich vor jeder Ecke und so gerüstet, schaffte ich den Weg zum Spiegel. Ein süßer Hase mit grauem Fell sah mich aus dem Spiegel an. Das Grau überzog seinen gesamten Körper. Er stand auf seinen Hinterpfoten, die Nase zuckte aufgeregt um alles riechen und jede Gefahr erkennen zu können. Die Löffelohren drehten sich jedem Geräusch zu, das sie aufnahmen. Ich trat einen Hopser auf den Spiegel zu, der Hase tat es ebenfalls. Gebannt starrte ich das Tier an und wurde schließlich von den Augen eingesogen. Das waren meine Augen, meine braunen, langweiligen Augen mit dem grünen Kreis um die Iris herum. Die Erkenntnis, dass ich dieses graue, pelzige Wesen sein musste, sickerte nur sehr langsam in mein Gehirn und immer wieder machte ich Tests. Der Spiegelhase ahmte jede meiner Bewegungen nach, also musste es stimmen, außerdem waren meine Augen mir so vertraut, dass ich sie überall erkennen würde, selbst an einem Tier. Die Geräusche hinter mir nahmen zu und Schritte näherten sich vorsichtig, doch alarmierend schnell. Wie ein riesiger Berg ragte mein Vater über mir auf und ich ergriff instinktiv die Flucht vor ihm. So schnell ich es vermochte, hoppelte ich unter den Schrank und zitterte am ganzen Körper. Meine ganze Welt stand Kopf. „Syria, verstehst du mich?“, begann plötzlich Damons beruhigende Stimme zu ertönen. „Syria, mein kleines Träumerle, es ist alles gut. Dir wird nichts passieren, das verspreche ich. Ich werde auf dich aufpassen, aber bitte, komm zu mir. Bitte, hab vor mir keine Angst.“ Er fing an, ein Lied zu summen, welches ich nicht erkannte. Die Töne waren tief und brachten meinen Körper zum Vibrieren, aber auf diese Weise beruhigten sich meine Nerven langsam. Vorsichtig, meine neuen Fähigkeiten testend, schnüffelte ich bewusst. Die Luft trug mir nur noch Damons Geruch entgegen, meine Eltern mussten das Zimmer verlassen haben. Aber auch der Geruch von Karotten und Salat wehte mir um die Nase und zögernd, Schritt für Schritt, kroch ich unter dem Schrank hervor. Das Gemüse lag nur wenige Zentimeter von meinem sicheren Versteck entfernt, doch Damons Hand lag daneben. Sein Geruch machte mir auf unerklärliche Weise Angst, diese Freundlichkeit gepaart mit Mut, Macht und Gefahr. So intensiv hatte ich ihn noch nie wahrgenommen. Aber in dem Wissen, wem diese Hand gehörte, meinem besten Freund, seit ich denken konnte, näherte ich mich Millimeter um Millimeter der Hand. Ich streckte meinen Kopf endgültig unter dem Schrank hervor und beobachtete ihn. Damon hatte sich auf den Boden gesetzt und so klein wie möglich gemacht, um mich nicht noch einmal zu verschrecken. Um an den Salat zu kommen, krabbelte ich mit meinem ganzen Körper unter dem Schrank hervor und hockte mich neben meinen Freund. Damon summte weiterhin vor sich hin und mein Körper entspannte sich völlig. Der Salat verschwand knisternd in meinem Mund, ebenso die Karotten. Seine Hand schlich näher, berührte meinen Körper. Er streichelte sanft mein Fell, darauf bedacht mich zu trösten, aber nicht zu erschrecken. Als ich alles auf dem Boden liegende gegessen hatte, krabbelte ich auf Damons Schoß und genoss die sichere Wärme seines Körpers. So nah kam ich ihm als Mensch selten. Das Zittern der Angst hörte gänzlich auf meinen Körper zu schütteln und langsam fielen mir die Augen zu. An dem Punkt, wo ich endgültig in Schlaf fallen wollte, wallte abermals die Hitze in mir auf. Der Schmerz meiner wachsenden Knochen, des streckenden Körpers, traf mich völlig unvorbereitet. Der Pelz verschwand, die Haare am Kopf wurden länger und flogen in alle Richtungen, bevor sie auf meiner Haut zum Liegen kamen. Damon stöhnte, die Augen geschlossen hinsichtlich meiner überraschenden Rückverwandlung und ich spürte den Stoff seiner Kleidung. So schnell ich konnte, rappelte ich mich auf die Füße und überwand den einen Schritt zum mannshohen Spiegel in Sekundenschnelle. Mein menschlicher Körper stand da, so wie Gott ihn geschaffen hatte. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Damon konnte mich genau in dieser Sekunde nackt sehen! Ich sprang zum Bett, hüllte mich, so gut und schnell wie es ging, ein und zog, zerrte, schmiss Damon aus meinem Zimmer. Ein bis dahin unterdrückter Schrei bahnte sich seinen Weg nach draußen und ich schrie lange. Damon hämmerte an die Tür. „Syria, bitte, beruhige dich doch. Lass mich wieder rein.“ „Verschwinde und lass mich in Ruhe! Ich will niemanden sehen!“, schrie ich ihm als Antwort entgegen. Seine sich entfernenden Schritte verklangen rasch. Schwer keuchend lies ich mich mit dem Rücken zur Tür zu Boden sinken. Ausgerechnet vor Damon nackt gewesen zu sein, trieb mir das Blut in die Wangen. Aber nach einigen Minuten drang das Andere in meine Gedanken. War ich wirklich dieser Hase gewesen? Oder war das alles nur ein Traum? Ratlos sammelte ich mir Sachen aus meinen Schrank zusammen und zog mich an. Meine Haare waren total verfilzt, also griff ich nach meiner Bürste und stellte mich vor den Spiegel. Der Verband blitzte weiß auf. Er saß noch genauso wie vor der Verwandlung, oder nicht? Als Tier war ich durch meinen Pelz geschützt worden, aber ich hatte mich nackt zurückverwandelt. Hieß das, ich war vor der Verwandlung schon nackt gewesen? Jetzt, wo ich darüber nachzudenken begann, konnte ich mich nicht erinnern, einen Schlafanzug oder ähnliches angehabt zu haben, oder doch? War ich vielleicht also schon nackt gewesen, als meine Eltern hier waren und Damon hereingeplatzt ist? Ich beschloss, diese Fragen in den Hintergrund zu verdrängen und meine Eltern wegen dieser Sachen zur Rede zu stellen. Ich atmete ein letztes Mal tief durch und öffnete die Tür. Verdutzt starrte ich auf den sehr verletzt aussehenden Damon. „Aber, du bist doch… Ach, egal. Damon, bitte entschuldige, aber du musst verstehen…“ Weiter kam ich mit meinen Erklärungen nicht, denn schon nach den ersten Worten zog er mich an seine Brust. Sein Duft, den ich selten so nah wahrnehmen konnte wie in diesem Augenblick, überwältigte und verstummte mich. Er roch für mich als Mensch anders als in der tierischen Gestalt, jetzt konnte ich diesen Hauch von Macht und Gefahr nicht mehr wahrnehmen. Stattdessen roch er einfach nur herb, männlich. „Ach, wie könnte ich dir nur böse sein? Folge mir, wir wollen dir alles erklären, wenn du das möchtest.“ Ich nickte. Er packte sanft meine Hand und schubste mich in Richtung Treppe. „Sie warten in der Küche auf dich.“ ‚Wer sind wohl Sie? ‘, fragte ich mich im Stillen, aber lies mir meine Verwirrung nicht anmerken. Ich ging Damon voraus die Stufen ins Erdgeschoss und betrat die Küche. Für eine kurze Sekunde schoss mir die Frage durch den Kopf, ob Damon mich jetzt wohl für ein Monster hielt und warum er so ruhig und gefasst wirkte, aber bei den ernsten, fast schon traurigen Gesichtern meiner Eltern waren diese Fragen schnell wieder verflogen. Sie schienen erleichtert über meine menschliche Gestalt zu sein, aber auch besorgt. „Syria, wir können dir alles erklären, es ist nicht so wie du denkst…“ Mein Vater wollte weiterreden, doch ich unterbrach ihn. „Was sollte ich denn deiner Meinung nach denn denken? Ich bin ein Monster! Abartig, unnormal. Was ist da mit mir passiert? Ich verstehe absolut nichts mehr.“ Alle starrten betreten den Boden an und ich versuchte verzweifelt Blickkontakt aufzunehmen. Meine Mutter fing still an, vor sich hin zu weinen, mein Vater, sonst der starke Beschützer, sah ebenfalls aus, als finge er gleich zu weinen an. Selbst Damon wich meinen Blicken aus. ‚Sie wissen es alle, nur ich bin ausgeschlossen. ‘ Der Gedanke traf mich hart. Nach endlos erscheinenden Minuten der Stille, fing ich Damons Blick ein und lenkte ihn mit aller Macht zu mir. Gequält seufzte er, dann rückte er mit der Wahrheit heraus. „Syria, du weißt, wie alt du heute wirst?“ Genervt verdrehte ich die Augen. „Klar, ich bin heute achtzehn geworden. Ist doch völlig normal, zu wissen, wie alt man ist, oder nicht?“ „Nun, du feierst heute wirklich ein Ereignis mit der Zahl achtzehn, aber nicht, wie du bisher geglaubt hast, deinen Geburtstag. Nein, es wird der Tag deines Fundes gefeiert. Deine Eltern wissen nicht, wann du wirklich geboren bist, denn du bist ein Findelkind.“ Erstarrt blickte ich meine Eltern an. Meine Mutter stand auf. „Ja, es stimmt, wir sind nicht deine leiblichen Eltern, doch wir könnten dich jetzt nicht mehr lieben, wenn wir es wären.“ „Nein… Nein, das ist nicht wahr“, stammelte ich ungläubig, als ich meine Sprache wiederfand. Damon versuchte mich in seine Arme zu nehmen, doch ich riss mich los. „Das ist nicht wahr!“, schrie ich in den Raum. Ein weiteres Mal versuchte Damon, mich in seine Arme zu nehmen, doch ich riss mich erneut los und rannte aus dem Raum, aus dem Haus hinaus auf die Straße. Einfach nur rennen, alles vergessen, was am heutigen Tag geschehen ist, mehr wollte ich nicht. Ich rannte, weiter und weiter, bis ich nicht mehr richtig atmen konnte und stehen bleiben musste. Schwer keuchend stützte ich mich an einem Baum ab, als ich das Rauschen des nahen Flusses vernahm. Langsam, magisch angezogen, näherte ich mich dem Ufer. Ein Sprung ins kalte Wasser könnte alles beenden, diese Verwirrung, mein Monsterdasein, mein Leben. „Bitte, tu es nicht. Auch wenn du es im Moment noch nicht verstehen magst, so hat deine… deine Gabe einen Sinn, davon bin ich fest überzeugt. Außerdem, ich habe dich schon einmal beinahe verloren, ein weiteres Mal wird mir das nicht passieren. Ich brauche dich Syria, mein kleines Träumerle.“ Während er sprach, hatte er sich mir soweit genähert, dass er mich jetzt fest mit den Armen umschließen konnte und ich wehrte mich nicht mehr dagegen, sondern klammerte mich an ihm fest und schluchzte hemmungslos. Damon summte leise die Melodie vor sich, die er schon früher an diesem Tage für mich komponiert hatte und in diesem Moment war ich so dankbar, dass er einfach da war. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, ließen wir uns auf einer nahe gelegenen Bank nieder und Damon setzte seine Erzählung fort. „Schon bald zeigte sich, dass du kein gewöhnliches Kind warst. Deine Eltern zogen dich liebevoll auf, doch es gab Augenblicke, da konnten sie dich einfach nicht finden. Mit jedem Jahr, dass du älter und selbstständiger wurdest, fanden sie öfter Tiere statt dich in deinem Zimmer. Bis deine Eltern herausfanden, dass du diese Tiere verkörpert hast, vergingen ganze drei Jahre. Sie beobachteten deine Verwandlung und wussten sofort, dass du von magischen, längst vergessenen Wesen abstammen musstest. Du verbrachtest deine Zeit sorglos, spieltest normal mit anderen Kindern im Dorf und lerntest viel von den Tieren. Manchmal, wenn du in den Wald gegangen warst, mussten sie dich tagelang suchen. Aber du bist immer wieder zu deinen Eltern zurückgekommen. Die Verständigung war in einer verwandelten Form unmöglich, aber auf gewisse und beschränkte Art und Weise konntest du dich mit den Tieren, deren Gestalt du annahmst, unterhalten. Frage mich bitte nicht nach Einzelheiten, da mir nicht mehr bekannt ist. Jedenfalls, deine Eltern fragten meinen Großvater um Rat. Er lebte sehr viel länger als andere Menschen und war weit umher gereist. Doch etwas mit deinen Fähigkeiten hatte auch er noch nie erlebt. Er riet deinen Eltern, deine Fähigkeiten vor den anderen Dorfbewohnern geheim zu halten, denn sie waren feindlich gegen alles eingestellt, was anders war als sie selbst. So sind sie ja auch heute noch. Der Zufall kam ihnen zur Hilfe. Zu der Zeit besuchte eine Hexe unser Dorf. Sie fertigte dir die Kette an, die du trägst. Diese saugte deine Fähigkeiten auf, so dass du dich seitdem nicht mehr verwandelt hast. Allerdings warnte sie uns davor, dass die Kräfte der Kette nachlassen würden. Aber du bist nun alt genug zu verstehen und zu lernen. Das ist das Wichtigste, du musst deine Verwandlungen kontrollieren können. Zwar wissen wir nicht, ob es überhaupt möglich ist, aber du musst es versuchen. Leider kann ich dir nicht mehr sagen als deine Geschichte, denn du bist die einzig bekannte Person mit solchen Fähigkeiten.“ Damon holte tief Luft. Ich nutzte seine Pause um mir die Nase zu putzen und mich wieder etwas herzurichten. „Also wusstet ihr alle, du, meine Eltern, selbst dein Großvater, dass ich anders war und keiner hat auch nur die kleinste Andeutung gemacht?“ Enttäuscht sah ich Damon an und setzte mich aufrecht hin, weg von seinem warmen, Trost spendenden Körper. Sofort bereute ich es, als der kühle Wind über meine Haut fuhr und mich erzittern ließ. Ohne ein Wort zog Damon seine Jacke aus und ließ sie über meine Schultern gleiten. „Danke“, murmelte ich kleinlaut. „Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass du mich verraten hast Damon. Ich dachte, wir wären Freunde.“ „Versteh doch Syria, es war nur zu deinem Besten. Du warst zu klein, um zu begreifen. Deshalb hat mein Großvater mich ausgewählt, als deinen Beschützer. Er hat mich verschiedene Kampfkünste gelehrt, damit ich immer in der Lage sein werde, dir beizustehen.“ „Das wird ja immer besser“, erwiderte ich ironisch auf diese neue Enthüllung. „ Dann bist du nicht mein Freund? Dann war es für dich nur eine Pflicht, mit mir deine Zeit verbringen zu müssen? Alles war nur gelogen und gespielt? Ist denn alles, worauf mein Leben bisher aufgebaut hat, eine einzige Lüge?“ Meine Stimme wurde immer lauter, die letzten Worte schrie ich. Damon stand auf, so schnell und geschmeidig, dass ich erschrocken zurückzuckte. Er sank vor mir auf die Knie. „Syria, nichts von unserer Freundschaft war gespielt. Seit dem Tag, an dem wir uns kennenlernten, war ich dein Freund. Es war niemals eine Pflicht für mich, mit dir zu spielen, Hausaufgaben zu machen oder einfach nur zu reden. Ich kann dich nur beschützen, wenn du es auch willst, aber du musst zugeben, so wie du manchmal in den Tag hineinträumst, brauchst du wirklich jede Menge Schutz und Hilfe.“ Er lächelte sein spitzbübisches Lächeln und fast sofort verzieh ich ihm alles. „Das heißt, du magst mich also trotz allem? Trotz der Tatsache, dass ich ein Monster bin?“ „Ja, obwohl du schon immer ein Monster warst, ein Krümelmonster.“ Lachend löste sich die angespannte Atmosphäre und wir blieben noch eine Weile am Fluss sitzen, sahen die Sonne untergehen, bevor wir den Weg nach Hause antraten. Das Haus meiner Eltern war hell erleuchtet. Ich seufzte und Damon legte beruhigend seinen Arm um meine Schultern. „Du schaffst das, da bin ich mir ganz sicher“, flüsterte er mir ermutigend zu. Meine Eltern saßen noch genauso wie wir sie verlassen hatten, erstarrt in ihrem Schock. Erst als sie mich erblickten, erwachten sie und stürmten auf mich zu. „ Bitte verzeih uns, meine Kleine, wir wollten dir schon lange alles erzählen, aber du schienst nie alt genug gewesen zu sein und nun war es beinahe zu spät.“, schluchzte meine Mutter. Mein Vater umarmte mich nur wortlos. „Ihr müsst mir nichts mehr erklären, Damon hat mir alles erzählt und obwohl ich nur die Hälfte bis jetzt wirklich glauben kann, weiß ich, dass ihr nur mein Bestes wolltet. Aber ihr seid sicher, dass es niemanden wie mich gibt?“ „ Nein, ich fürchte, du bist die letzte deiner Art.“, antwortete mein Vater. „Es tut mir Leid, aber das glaube ich einfach nicht. Es muss jemanden geben, der mich biologisch sein Kind nennt, also kann ich einfach nicht die Letzte sein. Mama, Papa, ich bitte euch um die Erlaubnis, die Schule, dieses Haus, das Dorf verlassen zu dürfen und nach Antworten zu suchen, auf die Fragen, die ich euch nicht stellen kann. Ich möchte mich in der Welt umhören. Selbst, wenn ich wirklich die Letzte… Gestaltenwandlerin sein sollte, würde ich unserer Dorf unnötig in Gefahr bringen, wenn ich hier weiter leben würde.“ „Uns war immer klar, dass du uns verlassen müsstest, wenn die Wahrheit herauskäme. Vielleicht haben wir es dir deshalb so lange verheimlicht. Aber bitte, denke daran, dein Vater und ich, wir haben dich immer sehr lieb gehabt und werden dir immer ein zu Hause bieten, wenn du hierher zurückkehren möchtest.“ Ob ich es wollte oder nicht, ich liebte diese beiden Menschen und sie waren mir sehr wichtig. Ich umarmte sie gleichzeitig und sah zu Damon hinüber. Er allerdings blickte mich fassungslos an. „Aber, nein, Syria, das kannst du nicht machen. Du kannst mich nicht allein hier zurück lassen. Ohne dich wird das Leben hier so öde sein, das will ich gar nicht erst erleben. Außerdem wurde ich als dein Beschützer ausgebildet, also komme ich mit dir. Mich hält nichts an diesem Dorf, seit mein Großvater gestorben ist. Nur du hast Tag für Tag mein Leben erhellt. Ich bitte dich, lass mich dich begleiten. Du wirst an einsamen Tagen einen guten Freund brauchen.“ „Ist das wirklich dein Ernst?“ „Ja, ja, natürlich ist es mein ernst, solange du mich dabei haben möchtest.“ Dankbar fiel ich nun Damon um den Hals. „Da fragst du noch?“, rief ich lachend. „Komm, pack deine Sachen. Ich will spätestens morgen aufbrechen.“
Kapitel 3: Der Beginn der großen Reise (2630 Wörter)
Spoiler:
Kapitel 3: Der Beginn der großen Reise
Das Geräusch von Regen weckte mich an jenem Morgen. Dem Tag des Aufbruchs. Dem Tag, an dem ich alles Alte verlor und alles Neue gewinnen könnte. Natürlich waren wir nicht am nächsten Tag aufgebrochen. Die Vorbereitungen hatten eine ganze Woche in Anspruch genommen. Ich hatte versucht, so viel wie möglich über die Welt zu erfahren, die mich erwarten würde. Aber alles was weiter als eine Tagesreise entfernt war, war so gut wie unbekannt. Nur der Weg nach Magreta und die dort herrschenden Sitten waren aus der uralten, verstaubten Bibliothek bekannt. Deshalb hatten wir beschlossen, unser Glück zuerst dort zu versuchen. Meine Eltern hatten im nächsten Dorf zwei große Rucksäcke, haltbares Essen und eine Reiseapotheke eingekauft und alles zusammengepackt. Dann musste nur noch unsere Abmeldung von der Schule geregelt, die Räder geflickt und alles andere eingepackt werden. Und heute endlich ging es los. Trotz der Vorräte, die wir eingekauft hatten, würden wir sehr bald einkaufen müssen, da wir nicht so viel tragen konnten, wie wir bräuchten. Die grauen Wolken ließen kein Licht hinein und ich hielt es nicht viel länger im Bett aus. Da ich nicht alle Sachen, die ich gern mitnehmen würde, in meinem Rucksack unterbringen konnte, zog ich mir über meiner Jeans noch einen Rock an, sowie mehrere Paar Socken, über dem T-Shirt noch einen Pullover und eine Strickjacke. Fast bereute ich es schon, so viel angezogen zu haben, da mir der Schweiß aus den Poren rann und dabei hatte ich nicht mehr getan, als mich anzuziehen. Schweren Herzens zog ich die Strickjacke wieder aus. Gerade bürstete ich meine Haare, als es an der Tür klopfte und meine Mutter eintrat. Sie sah mich traurig an. „Komm bitte zum Frühstück nach unten, dein Vater hat sich heute extra die Zeit genommen, um dich zu verabschieden.“ Ein unterdrücktes Schluchzen von ihr verstärkte meine ohnehin schon vorhandenen Schuldgefühle. War es wirklich notwendig, wegzugehen? Seit meinem katastrophalen Geburtstag war ja nichts weiter geschehen. Aber irgendwie fühlte ich mich von etwas angezogen, dass ich hier nie finden würde. Seufzend folgte ich meiner Mutter, griff den Rucksack wie jeden Morgen und kam mir vor, als würde ich durch eine dicke Nebelsuppe laufen. Es schien alles ganz und gar normal zu sein, doch nie wieder wäre etwas für mich Normal. Aufgeregt rannte ich die Treppe hinunter in die Küche und fiel als erstes meinem Vater um den Hals, bevor ich auch Damon begrüßte, der mich angrinste. „Heute geht es also los, was?“ Ich konnte die Freude in seiner Stimme hören und mit einem Mal erschien es mir nicht hoffnungslos, diese Suche nach dem… Ja, was ich eigentlich suchte, wusste ich selber noch nicht. Aber ich durfte nie das Risiko eingehen, die Menschen, die ich liebte und hier zurückließ, in Gefahr zu bringen. Ein Kloß stieg in meinem Hals auf. Werde ich denn dies alles wieder sehen, vor allem die Menschen, die mich so liebevoll aufgezogen hatten? „Los, jetzt setzt dich endlich und iss was, damit wir los können.“ „Na, na, Damon, bleib mal ganz ruhig. Du willst uns doch nicht etwa unsere Tochter früher als notwendig entführen oder?“ Schuldbewusst sah Damon meinen Vater an, konnte aber sein Grinsen nicht verstecken. Er steckte mich an und auch auf meinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Schnell umarmte ich meinen Vater ein weiteres Mal und setzte mich hin. Den Kloß schluckte ich hinunter als ich sah, was meine Mutter alles auf den Tisch gestellt hatte. Eier und Speck, Toast und Müsli, Salzbutter und Rahmkäse, alles was ich gern aß, fand ich aufgetischt. Ich füllte meinen Teller mit allem, was ich erreichen konnte. Die Zeit verflog viel zu schnell und ich bekam nur noch Bruchstücke mit. Eine Szene, wo Damon mir Essen klaute. Mein zeitungslesender Vater. Meine Mutter, die in der Küche umherwirbelte und schließlich, der Abschied. Meine Eltern halfen uns, alles sicher zu befestigen, dann folgte die letzte Umarmung und schneller als ich es begreifen konnte, sahen wir sie ein letztes Mal, bevor sie in der Ferne verschwanden. Ich trat kräftig in die Pedalen. Meine Tränen wurden zusammen mit den Regentropfen vom Wind fortgeweht. Erst, als ich nicht mehr konnte, hielt ich an. Es war wie neulich, in Bewegung bleiben, um dem Schmerz davonfahren zu können, doch irgendwann holte es dich doch ein. Damon war noch weit entfernt, doch die Umgebung erkannte ich schon nicht mehr. Ängstlich, verloren und einsam sah ich mich um. Vor mir in der Ferne ragte eine Bergkette auf, um mich herum standen Bäume und Wiesen nebeneinander Spalier und auch einen See konnte ich entdecken. Ich versuchte zurückzublicken und etwas Vertrautes zu finden, aber außer dem keuchenden Damon war nichts mehr so wie es war, wie es sein sollte. „Mensch, was ist denn in dich gefahren, so loszurasen und das auch noch so plötzlich! Wenn nun irgendwo Räuber gelauert hätten, wäre ich nicht rechtzeitig da gewesen, bitte tu mir das nie wieder an.“ Schwer atmend stützte er seinen Kopf auf den Lenker, die Augen besorgt auf mich gerichtet. „Damon, verstehst du mich denn überhaupt nicht? Mein Leben ist auf Lügen aufgebaut, das habe ich noch nicht verdaut. Nichts ist mehr so, wie es war, wie es sein sollte. Hals über Kopf haben wir das verlassen, was uns bis bisher bekannt war. Macht dir denn das alles überhaupt nichts aus?“ Verzweifelt wandte ich mich ab, damit Damon meine Tränen nicht sehen konnte. „ Ich jage wahrscheinlich nur einem Hirngespinst nach. Ich kann kein Gestaltwandler sein, so wie ihr es alle gerne hättet, wenn, dann bin ich höchstens ein Monster.“ „Syria, ob du es wahr haben willst oder nicht, du bist nun einmal gerade das, eine Gestaltwandlerin, kein Monster und du jagst auch mit Sicherheit keinem Hirngespinst hinterher. Bald wirst du lernen, mit deinen Kräften umzugehen und dann wird es für dich wahrer werden, als es jetzt ist.“ „Ach, Damon“, schluchzte ich los und stürzte mich nun doch in seine Arme. Mein Rad fiel achtlos auf den Boden. Er hielt mich fest, solange bis ich mich beruhigt hatte. Das letzte Verbindungsglied zu meinem alten Leben, der einzige, der mich in mein neues Leben begleitete. Ich bleibe viel länger in seiner Umarmung, als es notwendig gewesen wäre. Erst, als mein Magen knurrte, gab Damon mich frei, fast widerwillig, wie ich sehr erfreut bemerkte. „Das Mittagessen können wir uns jetzt aber noch nicht gönnen, dazu haben wir nicht genug geschafft.“, meinte er lachend. Ich lachte mit ihm. Es war so einfach neben ihm, meine eigenen Sorgen und Ängste komplett zu vergessen. „Wie wäre es, wenn wir noch zwei Stunden fahren? Dann erreicht die Sonne ihren höchsten Stand und es wird wahrscheinlich zu warm zum Weiterfahren. Das heißt, wenn die Wolken und der Regen sich bis dahin verzogen haben.“ „Aber ein Schluck Wasser muss jetzt schon drin sein. Ich bin ziemlich durstig.“ Damon lächelte mich nur an und hielt mir, ohne etwas zu erwidern, die Wasserflasche entgegen. Gierig trank ich die Hälfte der Flasche, bis mich Damon stoppen konnte. „Nicht so hastig, unsere Vorräte müssen bis Magreta reichen. Wir wissen nicht, ob wir schon vorher ein Dorf oder eine Quelle finden, wo wir die Flaschen auffüllen können.“ Schuldbewusst sah ich ihn an. Er wuschelte mir kurz durchs Haar, bevor er weiterredete: „Ist ja nicht so schlimm. Also können wir weiterfahren?“ Ich nickte, hob mein Rad auf und untersuchte es auf Schäden. Die Stange des Lenkers war etwas verbogen, aber ansonsten hatte es bei dem Sturz zu Boden nichts abbekommen. Wir stiegen wieder auf und fuhren weiter. Die Landschaft machte mir Angst, selbst mit Damon an meiner Seite. Die Bäume drängten sich zu dicht an die Straßen, die Wiesen waren zu offen und ungeschützt, die Wolken ließen kaum einen Sonnenstrahl hindurch, selbst als der Regen aufhörte. Flüsse flossen schnell an uns vorbei, mit reißenden, tückischen Strömungen, hin zu unbekannten Gewässern und Gefilden. Damon machte mich immer wieder auf die Schönheit der Landschaft um uns herum aufmerksam und lenkte mich so von der Angst ab. Die Wildblumen blühten in Farben, die ich teilweise nicht benennen konnte, die Vögel zwitscherten fröhlich vor sich und der Wind vertrieb endlich die Wolken. Wie versprochen machten wir bald eine Pause. Das Essen bestand aus Resten vom Frühstück, kalt, aber immer noch sehr lecker und eine letzte Erinnerung an meine Heimat. Bis zum Sonnenuntergang veränderte sich die Landschaft kaum, Wiesen wechselten sich mit Wäldern und Seen ab, die Berge aber kamen nicht näher. Damon sammelte Feuerholz, während ich die Steine für eine Feuerstelle sammelte. Er übernahm das Kochen, Abwaschen und den Aufbau der Zelte. Mit gefülltem Magen, schläfrig und entspannt, zog ich mir die Schuhe aus, um meinen Zehen etwas Freiraum zu gönnen. Erschrocken blickte ich auf die riesigen Blasen. „Damon, hast du vielleicht etwas gegen Blasen gesehen?“, fragte ich leise nach. Er sah sich schnell alles an, holte eine kühlende Creme aus der Reiseapotheke und zusätzlich einen Verband. Ich kreiste die verspannten Schultern und sah ihn dankbar an, als ich meine Hände entgegen streckte, um ihm die Sachen abzunehmen. Er jedoch ergriff meine Füße und begann sie einzucremen. Jedes Mal, wenn ich vor Schmerz zusammenzuckte, hielt er kurz inne und wartete auf mein Zeichen. Schließlich wickelte er den Verband drüber und sagte fürsorglich: „Leg dich jetzt schlafen, bis Morgen ist es so gut wie verheilt. Morgen müssen wir etwas weiter fahren als heute, aber es wird uns auch leichter fallen.“ Ich folgte seinem Rat und kroch ich mein Zelt. Dort wickelte ich mich fest in meinen Schlafsack und lauschte noch eine Weile den Geräuschen der Nacht. Erst als Damon zu schnarchen begann, so laut, dass ich es auch in meinem Zelt hören konnte, schlief ich ein. Die nächsten Tage vergingen im selben Rhythmus, aufstehen, fahren, Mittagspause, fahren, noch eine kleine Pause, fahren und schließlich einen Lagerplatz suchen. Die Landschaft jagte mir keine Angst mehr ein und die Berge rückten etwas näher und wurden immer größer und gewaltiger. Am Abend des vierten Tages seit unserer Abreise aus meinem Dorf schlugen wir unseren Schlafplatz in der Nähe eines Sees auf. Der Wald, der sich um den See drängte, wuchs hier viel dichter als alles, was wir bisher gesehen hatten. Durch die Baumwipfel drang kein Strahl des endenden Tages, nur über dem See leuchtete die rote Abendsonne auf. Vereinzelte Nebelschwaden ließen das Bild verträumt und unwirklich erscheinen. Ich kuschelte mich in meine Jacke, als kalte Wind aufzog. Das Feuer prasselte fröhlich vor sich hin und Damon begann eine Geschichte zu erzählen: „Wenn es richtig ist, was mein Großvater mir erzählt hat, lagern wir hier am See Neru. Der Wald drum herum wird Inchion genannt. Neru bedeutet Nebel, denn zu jeder Tages- und Jahreszeit sind hier Nebelschwaden zu finden. Die Leute meiden den See, denn er verbirgt ein großes Geheimnis. Er heißt auch See der Träume. Es wird erzählt, dass Menschen, die hier geschlafen haben, fast alle geträumt haben. Später sind die Träume jener Menschen in Erfüllung gegangen. Es geht hier nicht um Wünsche, sondern um wirklich wahrhaftige Träume, die man hat, wenn man schläft. Diese Träume gehen in Erfüllung, ob erst ein Jahr später oder viele danach. Für jeden wahrgewordenen Traum wuchs hier ein Baum und jede Art steht für einen anderen. Trauerweiden zum Beispiel bedeuten den Tod eines Menschen, die Eichen im Herz des Waldes stehen für erlangten Reichtum. So gibt es für jeden Traum einen Baum. Manche behaupten, der Inchion wäre der artenreichste Wald, den es gäbe.“ Gebannt lauschte ich Damons Geschichte. Er blieb still und schien nichts mehr sagen zu wollen, aber sein Blick durchbohrte mich beinahe. „Du machst mir keine Angst“, sagte ich mutig, sah mich aber bei dem kleinsten Geräusch nervös um. Er bemerkte diese kleinen Gesten und beruhigte mich: „Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Es ist nur eine alte, unbewiesene Legende.“ Er fing an, ein Schlaflied zu singen und bevor ich etwas dagegen tun konnte, übermannte mich die Erschöpfung und ich schlief ein. Ich wusste, ich träumte, dennoch schien alles so real zu sein. Allein stand ich in diesem dichten Wald. Er erinnerte mich an den Inchion, es könnte aber auch ein anderer Wald sein, denn sie sahen ja alle gleich aus. Um mich herum lagen und standen Ruinen, Mauerreste und Steine. Alles war mit Moos überwachsen und versank im trüben Dämmerlicht, das dunklen Wäldern zu eigen ist. Eine weibliche Person betrat diesen heiligen Ort. Obwohl ich sie noch nie zuvor gesehen hatte, rannte ich ihr freudig entgegen und umarmte sie. Ich zog sie an der Hand zu den Überresten des Tempels und zeigte ihr, was ich entdeckt hatte. Nach ihr betrat auch Damon die Lichtung. Meine Welt schien perfekt zu sein. Endlich würde ich die Antworten bekommen, die ich so lange gesucht hatte. Ich zog die Frau mit den langen, schwarzen Haaren und dem auffälligen Muttermal zu Damon. Sie lächelte gutmütig. Ich umarmte auch Damon und zu dritt traten wir in ehrfürchtig, langsamen Schritten auf den Torbogen zu. Er war das einzig, noch erhaltene dieser Ruinen und schien früher den Eingang dargestellt zu haben. Ich wusste genau, hier war das Ziel meiner Reise, hier würde ich endlich alles erfahren, was ich wissen wollte, wissen musste. Damon und die Frau ließen mir den Vortritt und ich betrat mit einem Schritt das schwarze Tempelinnere. Damons Hand und die der Frau hielt ich noch fest. Ich wollte beide zu mir ziehen, aber ein unsichtbarer Stromschlag ließ beide zurücktaumeln. Entschuldigend sah ich den verletzten Damon an; das war eine Sache, die nur für meine Augen und Ohren bestimmt war. Ich konnte ihn verstehen, schließlich hatte er mich den ganzen Weg begleitet und beschützt. Doch er musste verstehen, wie wichtig dies für mich war, also wand ich mich ohne einen weiteren Blick ab und tastete mich in das dunkle Innere des Tunnels vor. Tiefer und tiefer führte er mich ins Erdreich, aber ich verspürte keine Angst, nur, dass ich mich meinem zu Hause näherte. Am Ende des Tunnels erwartete mich jemand, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber ich sollte dort nie ankommen. Von draußen, dort, wo ich meine Freunde zurückgelassen hatte, ertönte ein ohrenbetäubender Lärm. Ich stand in dem Tunnel, hin und her gerissen zwischen den zwei Möglichkeiten, weiter oder zurück. Weiter, den Antworten entgegen, zurück zu Damon. Meine Gefühle für Damon gewannen den Kampf schließlich und innerlich bedauernd, wandte ich mich um und rannte in Richtung Licht. Hinter mir stürzte der Tunnel ein. Mein Herz zog sich zusammen. Ich würde nie wieder meinen Antworten so nah kommen, wie ich es eben war. In einer Staubwolke stolperte ich ans Licht zurück und fiel auf die Knie. Hustend und keuchend suchte ich die Umgebung nach Damon ab. Die Frau stand über ihn gebeugt, über seinen leblosen Körper. War Damon etwa…Nein, seine Brust bewegte sich im Takt der Atemzüge. Ich wollte auf die beiden zu rennen, doch der hasserfüllte Blick der Frau ließ mich zurücktaumeln. Langsam stand sie auf und ließ in ihrer Hand einen Feuerball wachsen. Sie schleuderte ihn nach mir, ich wich instinktiv aus. Der Rasen, auf dem ich eben noch gekniet hatte, verbrannte. Warum? Warum hatte sie das getan? Meine Augen streiften Damon, er stand mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. Er fing meinen Blick ein und sah genauso hasserfüllt aus, wie die Frau. Was war in der kurzen Zeit geschehen, die ich im Tunnel verbracht hatte? Damon kam mit gezogenem Schwert auf mich zu. Ich wollte wegrennen, aber konnte meinen Körper nicht bewegen. Mein Verstand versuchte zu verarbeiten, zu verstehen, warum mein bester Freund, der Mensch, den ich über alles liebte, sich gegen mich gewandt hatte. Schritt für Schritt kam er näher. Ich ließ mich auf den Boden fallen, hob bettelnd die Arme, flehte Damon an, mir nichts zu tun. Er erhob sein Schwert, um mich zu töten.
Ich schrie und fuhr aus dem Schlaf hoch. Alarmiert sprang Damon auf und wurde sofort wieder niedergerungen. Eine Räuberbande hatte uns im Schlaf umzingelt.
Zuletzt von BurningSun am So Mai 15, 2011 7:00 am bearbeitet; insgesamt 7-mal bearbeitet
Gast Gast
Thema: Re: Nachtwandel - Neu Sa März 26, 2011 6:43 am
Huhu, Das hab ich ja schon gelesen :D Ich warte auf Fortsetzungen xD glg
Cataclysma Tintenkleckser
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Thema: Re: Nachtwandel - Neu So März 27, 2011 2:17 am
Hallo! Ich hab mir nun auch nochmal alles durchgelesen, drei Sachen sind mir eben hängengeblieben:
Ich gehörte wohl zu den wenigen Menschen, die mit ihrem Aussehen wirklich zufrieden sind. -> "gehörte" (Vergangenheit) und "sind" (Gegenwart), passt nicht. Besser: "Ich gehöre..."
Ja, manchmal ging mir seine übertriebene Fürsorglichkeit einfach nur auf die Nerven. -> Den Satz habe ich schonmal bemäkelt und tus immernoch ;) Vorher sprichst du von zwei Personen (Mutter und Damon) und hier nur noch von einer, wenn du das so stehen lässt dann würde ich vorher kennzeichnen wer die wörtliche Rede sagt.
In der Schule wird viel über uns getuschelt, dass wir ein Paar seien und so, aber Damon lachte darüber nur und vertrat die Meinung, Hauptsache wir kannten die Wahrheit. -> Wieder ein Mix aus Vergangenheit und Gegenwart, ich fände es so besser: "In der Schule wird viel über uns getuschelt, ob wir nun ein Paar seien oder nicht, aber Damon lacht über solche Spekulationen nur und meint dass es das Wichtigste ist dass wir die Wahrheit kennen." Oder so ähnlich natürlich (:
Ansonsten hab ich's ja schon mal gelesen im anderen Thread, finde es aber super dass du nun ganze Kapitel einstellst! :) Ich bleibe als Leser treu ;)
LG Cata :)
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Thema: Re: Nachtwandel - Neu Do März 31, 2011 5:40 am
Heyho! Also, Barnie ist klar^^ zu Cata: Satz 1: des ist aber alles in der Gegenwart und sind bezieht sich in dem Fall nicht auf die zeit, sondern auf die Mehrzahl der Menschen und daher denke ich, dass es richtig sein müsste. Satz 2: schon lange ausgebssert, das hast du wahrscheinlich überlesen^^ Satz 3: Seien ist wieder keine Zeitform, sondern eine grammatikalische vn daher denke ich, dass es auch in diesem Fall richtig ist^^
Ansonsten steht jetzt das Zweite Kapitel mit drin
Cataclysma Tintenkleckser
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Thema: Re: Nachtwandel - Neu Do März 31, 2011 6:10 am
Hallo!
1: Kann man auch so schreiben wie du, ich finde ihn persönlich nur anders schöner, deswegen (; 2: Oh oki :D Dan nehm ichs zurück (: 3: Das war nicht auf das "seien" bezogen, sondern auf das "wird". (; Deswegen meine ich ein "Mix" aus Gegenwart ("wird") und Vergangenheit ("lachte").
LG Cata :)
Schoko Tintenkleckser
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Thema: Re: Nachtwandel - Neu Fr Apr 01, 2011 6:40 am
Huhu Sunnylein :)
Also, ich finde deine Geschichte einfach super Ab und zu Rechtschreib/Satzbaufehler, aber ich mag den Schreibstil und auch die Idee.
Schreib blos weiter
LG
Schoko
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Thema: Re: Nachtwandel - Neu Do Mai 12, 2011 12:56 am
So, habe mich an die Ausbesserung der Fehler gesetzt (die, die ich als solche anerkenne ), danke Fee^^ Ansonsten habe ich beim ersten Kapitel noch einige Sachen hinzugefügt und geändert, das zweite kommt auch noch und vlt. stelle ich heute Abend noch das dritte rein^^
Kapitel 2 ist jetzt auch drin^^
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Thema: Re: Nachtwandel - Neu Fr Mai 13, 2011 8:25 am