Kalt. Wasser. Keine Luft. Etwas würgt mich. Umgeben von Wasser. Bekomme keine Luft mehr…

Ich gehe den langweiligen, grauen Schulkorridor entlang.
Gerade noch den letzten Rest der Hausaufgaben erledigend, merke ich nicht, dass jemand vor mir steht und sich gerade unterhält. Ich stoße mit diesem jemand zusammen.
Ein Blick nach oben, fast schon wieder desinteressiert abgewandt. Doch mein Blick
Bleibt haften. Schwarze Haare, grüne Augen, eigentlich genau mein Typ. Er guckt mich an, schüttelt den Kopf.
„Pass das nächste Mal besser auf, Kleine.“ Ich nicke kurz und haste in meinen Klassenraum.
Mein Tisch. Mein Stuhl. Mein Fach. Jeden Tag der gleiche Scheiß. Da kommt auch
Schon meine Lehrerin rein. „Guten Morgen Kinder.“ „Guten Morgen Frau Hawksmont.“
Stühle knarren, Kinder setzen sich, labern mit dem Nachbarn. Sie drehen sich um und legen ihre Sachen auf den Tisch.
Der Unterricht beginnt. Meine nicht vorhandene Mitarbeit ist heute noch weniger als sonst.
Ich muss immerzu daran denken wie er mich angeschaut hat. Immer und immer wieder.
Ich halte es nicht mehr aus und stehe wortlos auf. „Wohin gehst du?“, ruft Frau Hawksmont
Mir noch nach. Eine Antwort bekommt sie nicht. Ich laufe, renne, rase mittlerweile.
Alles verschwimmt, nur noch ein grüner Streifen. Ab durch den Wald, sonst droht Gefahr.
Dort kriegt er mich nicht, dort bin ich ihm überlegen. Da kommt er.
Ich suche einen Ausweg, aussichtslos. Schlechter Traum? Leider nicht.

Ich renne, schneller, viel schneller als sonst. Es nützt nichts: Da steht er.
„Was hast du dort getan?“ Sein eisiger Blick verrät alles.
„Ich bin zur Schule gegangen, wie jeder andere normale Mensch auch?“
Er lacht, kalt, hell und hoch. „Du bist nicht normal, DU nicht. Andere, vielleicht Linae-Chan. Aber DU sicher nicht.“
Ich sehe ihn mit demselben Blick an,
mit dem er mich ansieht. Kalt, grau und herzlos. Dann passiert mal wieder das,
was nunmal passiert, wenn ich zu lange im Wald bin. Langsam wandelt sich mein Körper.
Ich sehe ihn an, nun jammernd, flehend und hilflos. Er lacht wieder, es ist ein grausiges Lachen.
Ich halte es nicht mehr aus. Es ist verboten, aber es muss sein. Ich kann es nicht mehr halten.
Es geht einfach nicht. Ich fliege, er taumelt zurück. Ich bin nah an ihm, an seinem Hals, seiner Kehle.
Dem Schwachpunkt jedes Menschen. Doch da blockiert mich etwas. Es ist die Bindung
Zu diesem besonderen Menschen. Zu diesem Menschen, den ich seit meiner Geburt zu kennen geglaubt habe,
Der mich jetzt hasserfüllt ansieht. Sein Blick wandelt sich, eine Spur von Zärtlichkeit ist nun darin zu erkennen.
Er streicht mir über die Wange. Zart, wie früher, vor langer Zeit. Als es noch anders war.
Für einen kurzen Augenblick sehe ich durch seine mörderische Fassade in sein innerstes hinein.
Ich sehe, dass er mich noch immer liebt.
Er lässt seine Hand sinken. Ich richte mich langsam auf und mache mich auf den Rückweg.
Er sieht mir lange nach und rennt schließlich in die entgegengesetzte Richtung davon.

Mal wieder Zuhause. Ich sitze mit einer heißen Schokolade auf dem Sofa und schaue Nachrichten.
Wobei, schauen wäre ja interessiert. Neben mir liegt ein aufgeschlagenes Buch, dem meine Aufmerksamkeit gilt. Plötzlich werde ich hellhörig. „Es wurde eine Leiche nahe des Waldrandes gefunden. Es scheint eine junge Frau zwischen 20 und 30 Jahren zu sein. Ihre Personalien konnten noch nicht festgestellt werden, da sie weder Ausweis noch Führerschein dabei hatte.
Die Polizei ermittelt in diesem Fall.“

Ich starre wie gebannt auf den Bildschirm. Klar, ein Mord, nichts ungewöhnliches.
Aber so nah bei uns? "Das könnte…", ich dachte kurz nach. "Nein, diese Vorstellung ist absurd", schalt ich mich.
Ich gehe nach oben in mein Zimmer. Im Treppenhaus stocke ich kurz.
Irgendwas streift das kleine Fenster. Eine Katze die am Fenster kratzt. Ich öffne es mühsam und lasse
sie rein. Sie hat ein Halsband an, auf dem ihr Name steht: Starfield. Ungewöhnlicher
Name für eine Katze. Da sehe ich ihr Fell. Es ist schwarz, jedoch übersäht mit kleinen, weißen Punkten. Wie der Himmel, mit seinen Sternen.Ich nehme sie auf den Arm und laufe die Wendeltreppe hoch. In meinem Zimmer angelangt stelle ich ihr einen Napf mit Katzenfutter hin. Sie fängt sofort an,
es gierig aufzufressen. Ich sehe ihr dabei zu und erinnere mich an Stan, meinen Kater, der von
meinem eigenen Dad überfahren wurde. Starfield maunzt und ich blicke sie an.
Sie hat klare, türkisfarbene Augen. Solche Augen lügen nicht. Naja, das hat man bei mir auch gesagt und trotzdem habe ich mir mein Leben auf Lügen aufgebaut.
Ich schaue Starfield an. Sie maunzt, kommt auf mich zu und reibt sich an meinem Bein.
Ich nehme sie auf den Arm.

Mal wieder Schule.
Jeden Tag dieser Mist, den ich nicht brauche.
Wesen wie ich brauchen das einfach nicht.
WIESO muss ich da hin? Die Quälerei, der Schmerz, alles wird zu viel.

Ich haue mal wieder ab, nach Hause, an den Computer.
„Boaaah, diese alte Schrottkiste! Meine Güte!“ Entnervt drücke ich den Stromschalter
und lehne mich zurück. Es klopft an der Tür. Sie geht auf, doch niemand steht dahinter.
Ein Windhauch? Ein Geist? „Schwachsinn“, denke ich mir und ziehe meinen Schlafanzug an.
Nachdenklich hocke ich mich auf’s Bett. Starfield springt auf meinen Schoß.
Ich streichle über ihr Fell. „Ach, meine Kleine. Irgendwas ist hier seltsam. . .
weißt du was?“ Sie legt den Kopf schief und reibt ihn an meinen Bauch.
„Ach, du verstehst mich wenigstens. Niemand anders. Noch nicht mal er."
Ich setze sie auf mein Bett, stehe auf und gehe die Treppe runter.
Etwas knarzt unten. Ich gehe ins Wohnzimmer, in dem Gundula sitzt.
„Hey Mum.“ Sie nimmt mich in den Arm. „Ich hab dich heut noch gar nicht gesehen.
Wo warst du?“ Sie will ernst sein, aber man hört deutlich den zärtlichen Unterton
in ihrer Stimme. „In der Schule und bis grade eben in meinem Zimmer.“ Ich lächele sie an, doch es sieht nicht gerade überzeugend aus, das weiß ich selber.
Sie zieht eine Augenbraue hoch und hält mir einen Lebkuchen hin.
„Magst du?“ Ich nicke, nehme ihn an mich und beiße ab.
Schokolade, das Mittel, durch das ich schon immer automatisch ruhiger wurde.